Schon früh lief es im Lokalradio: Die Nachrichten kündigten die Klima-Kundgebungen für den Erhalt der Kernkraftwerke mit Ort und Zeit an. Das war für viele anscheinend zu kurzfristig, dennoch gab es viele gute Gespräche am und um den Infostand in der gut besuchten Fußgängerzone in der Heilbronner Innenstadt.
Morgens halb 10 in Heilbronn, Infostand, Bühne, Lautsprechertechnik, Fahnen und Banner sind aufgebaut, und langsam treffen die Aktivisten der Nuklearia und der Mothers for Nuclear ein und nutzen die Gelegenheit, sich einmal live zu sehen und zu sprechen. Beiden Organisationen gelang es, auf diese Weise auch neue Mitglieder zu werben.
Punkt 10 Uhr geht es los. Ulrike von Waitz eröffnet die Kundgebung, Britta Augustin und Rainer Klute sprechen einleitende Worte: Heute sei es besonders wichtig, mit einer parteipolitisch neutralen Position aufzutreten, um die von der Wissenschaft erlangten Erkenntnisse zum Klimawandel und der Hilfe die Kernkraft dabei bietet in den Vordergrund zu rücken. Rainer Klute zeichnet noch einmal kurz die Entstehung der Nuklearia nach. Als AG in der Piratenpartei gegründet, hat sich es als praktischer und erfolgreicher erwiesen, parteipolitisch unabhängig zu organisieren.
Jan-Christian Lewitz, Selbstbezeichnung »Atommüllmann«, spricht über die Möglichkeiten, den »Atommüll runterzubringen«. Interessantes Detail: Die Fachkonferenz Endlagersuche, die seit einiger Zeit läuft, schließt nicht aus, modernere Formen der Atommüllbeseitigung in die Diskussion einzubeziehen. Atommüll muss nicht untergestellt werden, er kann weiterverbrannt oder durch Transmutation unschädlich gemacht werden, so dass sich die Lagerzeit erheblich verkürzt.
Weitere Redner ergänzen zum Atommüll: Die Menge an Atommüll, die entsteht, wenn ein Mensch sein Leben lang komplett mit Kernenergie versorgt wird, passt in eine Cola-Dose. Unter Heilbronn lagert übrigens in einem Salzstollen hochtoxischer Industriemüll, der für immer giftig bleibt. Die geringen Mengen Atommüll könnte man auch erst einmal dazustellen. Andererseits gilt die Frage auch andersherum: Wer fragt »Wohin mit dem Atommüll?« muss sich die Gegenfrage gefallen lassen: »Warum nicht unter Tage in deiner Nachbarschaft?« Zusätzliche Strahlung entsteht dabei praktisch keine. Vom günstigen Atomstrom und dem daraus erwirtschafteten Wohlstand und der sauberen Luft haben wir ja auch alle profitiert.
Dennoch kam direkt nach diesen Informationen zum Atommüll ein Atomgegner zur Bühne gelaufen, um noch einmal nachzufragen, wohin mit dem Atommüll. Er regte an, wir sollten ihn doch bitte mit nach Hause nehmen. Wer das gehört hatte musste erst einmal lachen – dieser Einwand kommt derartig häufig, dass alle sofort mit »Ja, gerne« antworteten. Schön frisch eigne er sich als Fußbodenheizung. Der Mann hatte Schwierigkeiten, diese Information zu verarbeiten: Wir seien doch verrückt. Ihm die Abschirmungsmöglichkeiten für Strahlung zuzurufen, überforderte ihn, er ergreift die Flucht. Leider ist das Thema Strahlung eben nicht in ein paar Sekunden erklärt, damit muss man sich ausführlicher beschäftigen.
Nach der Kundgebung ging es um 13 Uhr am Atombuckel in Gemmrigkeit weiter. Dort hat man einen wunderschönen Blick auf das Kernkraftwerk Neckarwestheim. Die zwei Containments, die die Reaktoren beherbergen, sind ein Symbol für die Stärke der Kernkraft. Auf geringem Platz mit hoher Umweltverträglichkeit wird hier extrem viel Energie erzeugt. Mit dem Anspannen der Bizeps verdeutlichen sportliche Aktivisten die Kernkraft.
Nach diesen Symbolbildern wurde es praktisch: Es ging hinunter in den Wald und an den Neckar. Hier wurde ein Wassertest vorgenommen und festgestellt, dass der Fluss nicht gerade der sauberste ist, bevor er wenige Meter später am Kernkraftwerk entlang fließt. Dennoch ist er gut geeignet zur Wasserentnahme für den sekundären (äußeren) Kühlkreislauf und den breiten, flachen Hybridkühlturm.
Für ein erfrischendes Bad ist der Neckar aber gut geeignet. Die nur moderate Strömung erlaubte das Überqueren ohne Schwierigkeiten, natürlich mit »Nuklearia«- und »Kernenergie? Ja bitte«-Fahnen. Auf der anderen Neckarseite lockten Büsche mit prallreifen Brombeeren, die sogleich verzehrt wurden. Auf dem Rückweg kreuzten mehrere kleine Boote. Den neugierigen Besatzungen erklärten die Schwimmer die Aktion. Ein Motorbootführer stellte den Motor ab, um uns besser hören zu können. Dann reckte er den Daumen hoch und begrüßte unseren Kampf für die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke.
Anschließend ging es aus dem Wald zurück auf den Atombuckel, wo 14 Uhr der Demonstrationszug über die Kreisstraße zum Parkplatz des Kernkraftwerks Neckarwestheim startete.
Die zweite Kundgebung des Tages fand direkt vor dem Kernkraftwerk statt. 53 Teilnehmer wurden gezählt, der SWR und die Heilbronner Stimme waren, wie schon in Heilbronn, gekommen, außerdem die Ludwigsburger Kreiszeitung.
Noch einmal gab es Reden, auch mit einigen Rednern, die am Vormittag in Heilbronn noch nicht dabeigewesen waren. Lisa Raß von den Mothers for Nuclear war gekommen, Peter Kegel gab sein Debüt als Redner mit seiner Sicht auf die Kernenergie als Umweltmediziner, Werner Bechtel verlas sein Grußwort aus der Schweiz.
Gastredner Mario Carragiu sagte: “Der Weltklimarat ist recht deutlich: Wenn wir unsere Klimaziele einhalten wollen, ist Kernenergie ein essentieller Bestandteil der Lösung. Es gibt keine global sinnvolle Handlungsoption, die ohne Kernkraft auskommt.” Carragiu engagiert sich bei der Partei der Humanisten, die im Wahlkampf für Kernkraft wirbt.
Andere, die schon in Heilbronn geredet hatten, glänzten mit einem neuen Programm. Jan-Christian Lewitz unternahm einen unterhaltsamen Streifzug durch Energiewirtschaft und Politik. Er gab gar eine Anekdote zum Besten, wonach Peter Altmaier in einem Gespräch am Rande einer internationen Konferenz selbst zugeben musste, dass die deutsche Energiewende nicht funktioniere.
Markus Vester, der in Heilbronn mit einem launigen Vortrag über die Neubesiedlung der Sperrzone von Tschernobyl durch Prokernkraftaktivisten geglänzt hatte, erzählte vor dem Kernkraftwerk von seinen persönlichen Erfahrungen: Lange hatte er durch Radeln zu seiner 30 (!) Kilometer entfernten Arbeitsstelle jedes Jahr eine Tonne CO₂ gespart. Erst später erkannte er, wie wenig das im Vergleich doch ist und welche gigantischeren CO₂-Einsparungen Uran- statt Kohleverstromung ermöglicht. Vester wurde vom Kernkraftgegner zum -befürworter.
Höhepunkt der Unterhaltung war der Auftritt der »Transmutanten« mit ihrem Lied »Hallo Nuklear«. Drei Sänger und ein Gitarrist lieferten sich mit dem Zwischenrufer »Anti-Atom-Günther« einen auf die Melodie von Leonard Cohens »Hallelujah« gesungenen Schlagabtausch.
Liebe Atommüllfreunde,
mich hat das Zurufen der Abschirmmöglichkeiten nicht überfordert und ich habe auch nicht die Flucht ergriffen. Die Antwort den Müll als Fußbodenheizung im eigenen Haus zu verbauen, habe ich als das genommen was es war: Der Versuch eine Kernfrage der Atomenergie ins lächerliche zu ziehen, weil man keine realisierbare Antwort hat, auf die Frage, wo der Müll hinkommt. Sie hätten statt nach Neckarwestheim nach Bad Friedrichshall fahren und dort den Bewohnern erzählen sollen, dass Sie der Meinung sind, dass der Atommüll im Stollen unter der Stadt eingelagert wird. Strahlt ja auch nur 300.000 Jahre. Viel Spaß bei der Überzeugungarbeit.
PS: Das Verwursten von Halleluhja haben Sie bei der Gema angemeldet?
Die Frage, wo der Atommüll hinkommen kann, wurde nicht nur in einer Rede sehr ausführlich behandelt. Das konnten Sie beim Vorbeigehen wahrscheinlich nicht alles erfassen.
Da ich mir die Ausführungen während des Mitagessens angehört habe , konnte ich die ausgeführten “Lösungen” sehr wohl erfassen: Aufbereitung nach russischem Vorbild (wo ging der Tschenobyl-Reaktor in die Luft?), in den Stollen etc.
Sie sollten weniger mit Unterstellungen arbeiten, sondern versuchen Menschen mit guten Argumenten zu überzeugen.
vor ein paar Jahren haben zwei Finnen ein Buch veröffentlicht, Titel: “Climate Gamble”. Es geht darin um das Klimaproblem und wie sich die Abneigung gegen Kernkraft damit verträgt, bzw. nicht verträgt. Natürlich wird darin wird auch das Müllproblem angesprochen. Hier ein kurzer Textauszug in deutscher Übersetzung:
• Die langfristigen Risiken durch nukleare Abfälle (z.B. ein undichtes Endlager) werden selten quantifiziert und nie mit anderen relevanten Risiken verglichen. Es besteht Grund zur Annahme, dass die meisten Vergleiche sofort zeigen würden, wie bedeutungslos klein die Risiken der nuklearen Abfallentsorgung tatsächlich sind.
• Das Leben auf einem undichten geologischen Endlager würde einer Person eine Strahlendosis geben, die ungefähr einem Haufen Bananen entsprechen würde, den man jedes Jahr isst – im schlimmsten Fall.
• Die Nuklearindustrie ist eine der wenigen Industrien, die verpflichtet sind, ihre Abfälle überhaupt zu sammeln und zu lagern.
Zitatende.
Lesenswert ist natürlich auch die Nuklearia-Broschüre “Klimakrise? Kernkraft!” – zu finden auf nuklearia.de
Herzlichen Gruß
Christoph
Sehr geehrter Roland,
Hatten Sie ein Problem damit, dass niemals zerfallen der hochtoxischer chemischer Müll irgendwo in Deutschland in einem Stollen gelagert wird, sofern er sicher verpackt ist?
Ich habe ein Problem mit jedem Müll, der länger als eine Generation hält.
Hallo,
wir waren auch in Neckarwestheim dabei, leider wurde der “Badetermin” vorverlegt und wir sind somit um das gemeinsame Badevergnügen gekommen:-) Ansonsten aber eine gelungene Veranstaltung, danke dafür an die Organisatoren!
Zum Kommentar von Roland möchte ich anmerken, dass ich es grundsätzlich gut finde, wenn sich ein Kernkraftgegner auch einmal zu Wort meldet und würde mir wünschen, dass sich vielleicht ein für beide Seiten fruchtbarer Dialog entwickelt. Über 30 Jahre “grünes” brainwashing lassen sich nicht ohne Weiteres mit Sachargumenten aus der Welt schaffen und ich stelle auch im Bekanntenkreis immer wieder fest, dass es ein hohes Maß an Falsch- bzw. fehlender Information über die Kernenergie gibt. Auch die Argumente der Gegenseite sind ernst zu nehmen – Anlass für einen Dialog.
Schöne Grüße aus Offenbach
Arno
PS: Ein Fass bitte für meinen Garten 😉
“Ich habe ein Problem mit jedem Müll, der länger als eine Generation hält.”
Das mag sein, ich würde die Bedeutung gerne rumdrehen:
Wenn wir weiter so fleißig Kohle und andere fossile Energieträger verbrennen (Tendenz leider weltweit steigend), dann gibt es die “nächste, übernächste Generation” vielleicht nicht mehr, die ein “Problem mit dem Müll” hat.
Wie ich in meinem ersten Kommentar geschrieben habe, scheint man an einem fruchtbaren Dialog nicht interessiert zu sein. Das hat mir die herablassend bis höhnische Reaktion von Britta Augustin am Hafenmarkttutm und die Berichterstattung voller Unterstellungen hier gezeigt.
Klar müssen wir Kohle und Öl ablösen. Die Lösung unserer heutigen Energieprobleme ist für mich garantiert nicht, nachfolgenden Generationen meinen Müll zu hinterlassen. Darauf “Mag sein” zu schreiben…Was soll ich dazu sagen?
Tja Roland – man sollte sich da vielleicht einmal die Zeit nehmen und sich in Ruhe über das Thema unterhalten. Ich schaffe es vor meinem Urlaub leider nicht mehr, wie wäre es Anfang Oktober?
Hallo Roland, ich weiß noch sehr genau, wie ich auf dich reagiert habe. Nach einer ganzen Rede nur zum Thema Atommüll sagtest du sinngemäß, ob ich/wir den Atommüll mit nach Hause nehmen. Keine Ahnung wie du das gemeint hast, aber wenn du ihn gefährlich findest, ist das keine wirklich nette Art mit jemandem ins Gespräch zu kommen, ihm quasi den Tod ins Haus zu wünschen. Aber wie gesagt, ich möchte keine Unterstellung machen, sicher weißt du ja, wie gut und sicher verpackt dieser Müll ist, jedes Gramm dokumentiert und sauber verräumt, so gut wie kein anderer unserer vielen hochgiftigen Industrieabfälle.
Jedenfalls habe ich geantwortet, das ich/wir das schon so häufig gehört haben, dass wir alle eine Standardantwort darauf haben. Meine lautet: Ja bitte einen Castor für mich, aber recht frisch, damit ich eine Fußbodenheizung daraus machen kann. Du findest das herablassend und höhnisch? Ich meine das ganz ernst, weil ich weiß, wie einfach man die Strahlung abschirmen kann, daher der Versuch es dir im Weggehen zuzurufen, dass beispielsweise Beton ausreicht um Gamma-Strahlung abzuschirmen.
Meine Antwort ist natürlich nicht ganz realistisch, erstens weil es verboten ist und zweitens weil dieser Müll so wertvoll ist, dass ich gar nicht für seine Sicherheit garantieren könnte. Aber ich fürchte, auch die Frage ist nicht so realistisch, oder?