Die Netto-Null braucht Kernkraft

Am 31. Mai 2021 verabschiedeten über 100 Organisationen und NGOs aus dem nuklearen Arbeits- und Wissenschaftsbereich folgende Erklärung zum Nutzen der Kernenergie für das Klima. Teilnehmer der UN-Klimakonferenz (COP 26) im November 2021 in Glasgow werden damit bereits im Vorfeld angesprochen.

Netto-Null-Ziel braucht Kernkraft

Nuclear for Climate (Kernkraft für das Klima) ist eine von Mitarbeitenden und WissenschaftlerInnen der Kernkraft geförderte Basisbewegung. Sie vereint damit über 150 Organisationen, die sich zum Ziel gesetzt haben, mit Entscheidungsträgern und der Bevölkerung in Dialog zu treten, um Kernkraft als CO2 freie Energiequelle als Teil der Lösung im Kampf gegen den Klimawandel miteinzubeziehen.

Wir haben die Vision einer sauberen, nachhaltigen und CO2 armen Zukunft für uns alle, die den Wohlstand nicht gefährdet. Unsere Mission ist es, das Erreichen der Netto-Null Emissionen bis 2050 zu beschleunigen. Das wird auch durch eine Zusammenarbeit zwischen Kernkraft und erneuerbaren Technologien ermöglicht. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir für CO2-Freiheit aus folgenden Gründen Kernkraft brauchen:

  • Kernkraft ist eine bewährte und effektive CO2 arme Energiequelle: Kernenergie reduziert Treibhausgasemissionen als eine bewährte CO2 arme Energiequelle. Somit kann sie unsere derzeitige Abhängigkeit von umweltbelastenden fossilen Brennstoffen verringern.
  • Kernkraft ist verfügbar, skalierbar und einsatzbereit: Die Kernenergie muss zusammen mit erneuerbaren Energien umfänglich und dringend eingesetzt werden, um die Netto-Null Ziele in erreichbare Nähe zu bringen.
  • Kernkraft ist eine flexible und bezahlbare Quelle sauberer Energie: Kernkraft kann gemeinsam mit einem steigenden Angebot verschiedenster erneuerbarer Energieträger eingesetzt werden, um bezahlbare, saubere Energiesysteme zu ermöglichen.
  • Kernkraft kann mehr als nur CO2 armen Strom liefern: Kernkraft ist auch in der Lage, andere Sektoren zu dekarbonisieren, wie u.a. den Wärme- oder Transportbereich.
  • Kernkraft unterstützt eine inklusive und nachhaltige globale Entwicklung: Kernkraft fördert globale sozioökonomische Vorteile und steht in Einklang mit den nachhaltigen UN-Entwicklungszielen.

Fünf Jahre nach der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens stehen wir immer noch vor den enormen Herausforderungen, die aus dem 1,5°C Ziel stammen. Das globale Klima steht an einer kritischen Weiche und wir müssen bis 2050 das Ziel CO2-Freiheit erreichen, um den Temperaturanstieg zu begrenzen und damit die Zukunft unseres Planeten zu schützen. Wir sind allerdings nicht mehr auf Kurs und die Zeit läuft uns davon. Wir müssen daher jetzt handeln.

COP 26 in Glasgow bietet die Möglichkeit des Zusammentreffens unserer Nationen, um Maßnahmen zu beschließen, wie wir gemeinsam unsere Denkweise über das Klima ändern und uns auf den richtigen Weg zu einer CO2 freien Gesellschaft zu bringen.

Wir rufen alle Verhandlungsführer und Entscheidungsträger, die in COP 26 involviert sind, auf, eine wissenschaftlich und technologisch neutrale Herangehensweise in Bezug auf Energiepolitik und deren Finanzierung einzunehmen, damit eine nachhaltige Zusammenarbeit zwischen Kernkraft und erneuerbaren Energieträgern gefördert wird.

Kernkraft ist eine bewährte und effektive CO2 arme Energiequelle: Kernenergie reduziert Treibhausgasemissionen als eine bewährte CO2 arme Energiequelle. Somit kann sie unsere derzeitige Abhängigkeit von umweltbelastenden fossilen Brennstoffen verringern.

  • Kernkraft ist seit über 60 Jahren eine CO2 arme Energiequelle. Mit derzeit rund 440 Reaktoren in über 30 verschiedenen Ländern in Betrieb1, sorgt sie für ca. 10 % der weltweiten Elektrizitätserzeugung Ende 20192. Sie ist somit die zweitgrößte CO2 arme Energiequelle nach Wasserkraft.
  • Die CO2 Emission der Kernkraft bezogen auf den Lebenszyklus in Relation zur gelieferten Energie (CO2-Fußabdruck) sind niedrig, vergleichbar mit der von Wind- oder Wasserkraft. Länder, die einen niedrigen CO2-Fußdruck haben, setzen auf einen großen Anteil an Kern- und Wasserkraft in ihrem Energiemix. Frankreich, das ca. ¾ seiner Energie mit Kernkraft produziert, hat die niedrigsten pro Kopf Emissionen der G7 Länder.
  • Durch das Ersetzen der fossilen Brennstoffe mit Kernkraft, konnten seit 1970 weltweit mehr als 60 Gt4 CO2 äquivalente Treibhausgasemissionen verhindert werden. Somit wurden geschätzte 1,84 Millionen Tote, die durch die Auswirkungen der Luftverschmutzung gestorben wären, vermieden. Es wird geschätzt, dass weitere 7 Millionen Tote bis 2050 verhindert werden können, wenn man fossile Energieträger durch Kernkraft ersetzt.
  • Trotz des beeindruckenden globalen Wachstums (5-fach) der erneuerbaren Energien zwischen 2000 und 2018, blieb der Verbrauch der fossilen Energieträger unverändert bei ca. 80% des globalen Energiebedarfs. Dies korreliert unweigerlich mit dem sinkenden Anteil der Kernkraft über dieselbe Zeitspanne6, obwohl die Stromerzeugung durch Kernenergie in absoluten Zahlen zugelegt hat.
  • Die Ausstiegsländer der letzten Jahre hatten große Mühe, ihre Abhängigkeit von den fossilen Energien zu reduzieren. Nach dem deutschen Atomausstiegsbeschluss ist trotz der massiven Investitionen in den Ausbau der erneuerbaren Energien (178 Mrd.€)8 der Anteil an fossiler Energie als Primärenergie seit 20107 nur um 1% gesunken.

Kernkraft ist verfügbar, skalierbar und einsatzbereit: Die Kernenergie muss zusammen mit erneuerbaren Energien umfänglich und dringend eingesetzt werden, um die Netto-Null Ziele in erreichbare Nähe zu bringen.

  • Die großen internationalen Institutionen (UN, OECD-IEA9, EU10) kommen zu dem Schluss, dass alle CO2 armen Technologien, also auch die Kernenergie, schnellstens und im großen Maßstab eingesetzt werden müssen, um die Ziele einer CO2 freien Gesellschaft zu erreichen. Dies wird auch im letzten IPCC Bericht11 wiedergegeben, in dem bis 2050 eine Verdoppelung des relativen Anteils der Kernenergie angenommen wird, um den globalen Temperaturanstieg mit 1.5°C zu begrenzen.
  • Kernenergie ist eine bewährte und skalierbare Technologie mit einem kleinen CO2 Fußabdruck, die schon in der Vergangenheit einen wichtigen Beitrag zur CO2-Vermeidung geleistet hat. In den letzten 50 Jahren hat die Kernkraft aufgezeigt, dass sie in Bezug auf ausgebaute saubere Energie pro Einwohner und Jahr die schnellste Möglichkeit zur Dekarbonisierung ist. Das schwedische Nuklearprogramm hat nach 1970 innerhalb von 15 Jahren12 Kernkraftwerke mit einer Leistung 10.9 GWe in ihren Strommix hinzugefügt. Die schwedischen CO2 Emissionen pro Einwohner haben im gleichen Zeitraum um 75% abgenommen13.
  • Small Modular Reactors (SMRs) haben das Potential, schneller größere Mengen an Kernenergie ans Netz zu bringen. Durch die Reduzierung der Bauzeit vor Ort dank einer modularen Bau- und Produktionsweise der Reaktoreinheiten, könnten SMRs die Skalierbarkeit bei geringeren Baukosten weiter steigern. Einige Kernenergieländer sind sogar der Meinung, dass die SMRs zusammen mit den klassischen Großanlagen zum Netto-Null Ziel beisteuern können14,15.

Kernkraft ist eine flexible und bezahlbare Quelle sauberer Energie: Kernkraft kann gemeinsam mit einem steigenden Angebot verschiedenster erneuerbarer Energieträger eingesetzt werden, um bezahlbare, effiziente und saubere Energiesysteme zu ermöglichen

  • Der Einsatz der Erneuerbaren ist in den letzten Jahren stark angestiegen und wird dies weiterhin tun. Trotz dieses Anstiegs bringt die Volatilität der erneuerbaren Energien neue Herausforderungen an die Netzstabilität16. Kernenergie ist ebenfalls eine saubere Energiequelle und kann mit ihrer Flexibilität die fossilen Energieträger ersetzen und sich in die neuen Energiesysteme integrieren.
  • Die Kernreaktoren werden weiterhin in Bezug auf Flexibilität und Effizienz im Betrieb weiterentwickelt, auch durch die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten. Als Beispiel wird Kernkraft als sauberes Hybridsystem eingesetzt, um die nuklear erzeugte Energie als Prozesswärme oder Wasserstoff zu speichern17.
  • Neue Technologien, zu denen auch die SMRs gehören, bieten ein großes Potential für den großflächigen und vielfältigen Einsatz und den Zusammenschluss mit Erneuerbaren und anderen sauberen Energiequellen. Dadurch unterstützen sie neue dezentralisierte Systeme, bei denen der Erzeuger und Verbraucher näher aneinander liegen.
  • Gemäss neusten Studien bleibt die Kernenergie eine der günstigsten verfügbaren CO2 armen Technologien18. Der optimale Einsatz von Kernkraft im Energiemix ist eine der kosteneffizientesten Arten, um die Dekarbonisierung der Elektrizität19 durchzuführen. Eine weitere Studie hat gezeigt, dass Kernenergie bei ganzheitlicher Systembetrachtung die sauberste Energiequelle in Bezug auf die Dekarbonisiserung ist20.

Kernkraft kann mehr als nur CO2 armen Strom liefern: Kernkraft ist auch in der Lage, andere Sektoren zu dekarbonisieren, wie u.a. den Wärme- oder Transportbereich

  • Die weltweite Stromproduktion, von der ein starker Anstieg erwartet wird, ist derzeit für 40% der gesamten Treibhausgasemissionen verantwortlich und basiert nach-wie-vor weitgehend auf fossilen Energieträgern (64% der weltweiten Stromerzeugung)21.
  • Mit Strom aus Kernenergie lässt sich Wasserstoff effizient herstellen, der in vielen Anwendungen als alternativer Kraftstoff genutzt werden kann und zur Dekarbonisierung beiträgt 22,23. Zudem kann aus Kernkraft erzeugter Wasserstoff, in entsprechend sauberen Kraftwerken eingesetzt, zur Erhöhung der Netzstabilität eingesetzt werden.

Das Prinzip einer CO2 armen Wasserstoffwirtschaft erfährt zur Zeit starke Unterstützung von Politik und Industrie, infolge dessen weltweit die Anzahl entsprechender Richtlinien und Projekte stark zunimmt24.

  • Kernreaktoren bieten auch die Möglichkeit weitere Anwendungsfelder jenseits der Stromproduktion zu erschließen und damit zusätzlichen Nutzen für Wirtschaft und Umwelt zu stiften25. Dazu gehören u.a. Fern- und Prozesswärme sowie Meerwasserentsalzung26.
  • Neue fortschrittliche Reaktoren, die mit höheren Betriebstemperaturen arbeiten, bieten darüber hinaus Anwendungsmöglichkeiten für weitere energieintensive industrielle Prozesse, wie z.B. Polymer- und Kunststoffproduktion, Hochofentechnik, Düngemittelherstellung sowie effizienzgesteigerte Wasserstoffproduktion durch Hochtemperaturelektrolyse oder durch thermochemische Verfahren27.

Kernkraft unterstützt eine inklusive und nachhaltige globale Entwicklung: Kernkraft fördert globale sozioökonomische Vorteile und steht in Einklang mit den nachhaltigen UN-Entwicklungszielen.

  • Kernenergie steht vollkommen im Einklang mit den nachhaltigen UN-Entwicklungszielen und kann der weltweiten Bekämpfung von Energiemangel durch Bereitstellung sauberer Energie helfen und dadurch die Lebensumstände, Gesundheit und Umweltschutz verbessern und nachhaltiges Wirtschaften ermöglichen28.
  • Gemäß der Internationalen Energieagentur (IEA) werden in der Zeit von 2020 bis 2040 im Mittel jedes Jahr zusätzliche 15GWe an nuklearer Stromerzeugungskapazität benötigt, um das angestrebte nachhaltige Entwicklungsszenario (SDS) zu erreichen. Dies ist von enormer Bedeutung, um in Zukunft eine saubere und inklusivere Energieerzeugung zu erreichen29.
  • Derzeit laufen in rund 30 Ländern Programme zur Bewertung, Planung und Einführung von Kernenergie; die Bandbreite reicht von hochentwickelten Gesellschaften bis hin zu Entwicklungsländern. Länder wie Bangladesch, Weißrussland, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Türkei errichten derzeit Kernkraftwerke bzw. haben jüngst ihr erstes Kernkraftwerk in Betrieb genommen. Darüber hinaus ziehen zahlreiche Länder in Afrika Kernenergie als eine Lösung für saubere Energie in Betracht30.
  • Kerntechnik bietet hochqualifizierte Arbeitsplätze und wirtschaftliche Anreize. Gemäß einer Studie zur EU Binnenwirtschaft erhöht jeder Euro, der in Kerntechnik investiert wird, das Bruttoinlandsprodukt um zusätzliche fünf Euro. Jeder Arbeitsplatz in der Kerntechnik, schafft demnach weitere 3,2 indirekte Arbeitsplätze innerhalb der gesamten EU31.
  • Daher kann Kernenergie auch zur weltweiten wirtschaftlichen Erholung nach der COVID-19 Pandemie beitragen: Durch Schaffung langfristiger Arbeitsplätzte und durch Unterstützung nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung. Zugleich erhöht Kernkraft auch die Widerstandsfähigkeit des Energiesektors und treibt die nachhaltige Energiewende voran32.

Referenzen:

1 IAEA Nuclear Power Plant data (2019)

2 IEA – Electricity Information Overview (2020)

3 IPCC Wg3 Energy Systems (2018)

4 IEA – Data and Statistics (2020)

5 Environmental Science and Technology “Prevented Mortality and Greenhouse Gas Emissions from Historical and Projected Nuclear Power” (2013)

6 IEA – Nuclear Power in a Clean Energy System (2019)

7 IEA – World Energy Balances (2020) – Total Energy Supply (TES) by source – Germany

8 German Federal Ministry for Economic Affairs and Energy (BMWi) “Renewable Energy Sources in Figures” (2020)

9 IEA – World Energy Outlook (2020)

10EUCO3232.5 – Energy Efficiency Modelling (2019)

11 IPCC – Global Warming of 1.5 ºC Report (2019)

12 IAEA – PRIS Country Profiles – Sweden

13 The World Bank – CO2 Emissions (metric tonnes per capita) Sweden 1960-2016

14 The Climate Change Committee (CCC) UK Net Zero technical report (2019)

15 CER-REC “Canada’s Energy Future – Towards Achieving Net Zero 2050”

16 EC METIS studies S11 Effect of high shares of Renewables on power systems (2018)

17 NICE future “Flexible Nuclear Energy for Clean Energy Systems Report” (2020)

18 IEA & OECD-NEA “Projecting Costs of Generating Electricity” (2020)

19 MIT “The Future of Nuclear Energy in a Carbon-Constrained World” (2018)

20 NNWI “The Failings of Levelised Cost and the Importance of System-level Analysis” (2020)

21 IEA – Data and Statistics (2018)

22 IAEA – Nuclear Hydrogen Production (2020)

23 Lucid Catalyst – “How Hydrogen-Enabled Synthetic Fuels Can Help Deliver the Paris Goals” (2020)

24 IEA – The Future of Hydrogen (2019)

25 IEA – Innovation Gaps (2019)

26 The Royal Society – Nuclear Cogeneration: Civil Nuclear Energy in a Low Carbon Future (2020)

27 IAEA Nuclear and Renewables: Playing Complementary Roles in Hybrid Energy Systems (2019)

28 IAEA – Nuclear Power for Sustainable Development (2017)

29 IEA – Nuclear Power (2020)

30 World-Nuclear-News ‘Nuclear Power can speed progress in the developing world’ (2020)

31 Foratom “Investing in low-carbon nuclear generates jobs and economic growth in Europe” (2019)

32 NEA – Creating high-value jobs in the post-COVID-19 recovery with nuclear energy projects (2020)

Mehr Informationen über die Kampagne:

euronuclear.org/nuclear-for-climate/

Ein Kommentar

  1. Dieses Thema muss wieder öffentlich diskutiert werden. Die nächste Regierung muss “grünes AKW” denken. Gerade der Fakt, dass wir mit Hilfe schneller Reaktoren “ewig strahlender” Atomabfall energetisch genutzt und nahezu vollständig abgebaut wird, muss wieder salonfähig gemacht werden. Ich werde mich dafür einsetzen.

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